Eine zweite, völlig andere Sichtweise der spartanischen Frau zeigt diese als einflussreiche und kaltblütige Akteurin im spartanischen Kosmos, zunächst ganz im Dienste dieses, später dann vor allem im eigenen Interesse.
Es herrscht in den Quellen allgemein die Vorstellung, Spartanerinnen seien viel selbständiger als andere Frauen gewesen. So seien sie nicht an das Haus gefesselt gewesen, sondern vielmehr dessen Herrin und von den üblichen häuslichen Tätigkeiten griechischer Bürgerinnen, z.B. den Wollarbeiten, frei. Sie hätten nicht nur die Wirtschaft verwaltet, sondern hätten während der häufigen kriegsbedingten Abwesenheit der Männer einen Gutteil der Zeit eine dominante gesellschaftliche Rolle inmitten der Jünglinge, Alten und Unterprivilegierten Lakedaimons gespielt. Es gab sogar die Vorstellung, Sparta sei eigentlich ein Matriarchat und die Frauen beherrschten die Männer wie nirgends sonst – wenn auch vor allem auf informellem Weg.
Ob tatsächlich die Frauen für den Oikos und den Besitz zuständig waren, wie spätere Quellen gerne behaupten, ist in Quellen der klassischen Zeit nicht nachzuweisen. Wer den Oikos in der Abwesenheit der Männer leitete ist schwer rekonstruierbar, aber es gab hierfür viele Möglichkeiten neben der Frau, so Verwandte oder auch perioikische Verwalter oder schlicht die Heloten, die vermutlich ohnehin weitgehend selbständig wirtschafteten und als einzigen Eingriff in ihre Arbeit die Abgaben und den Kriegshilfsdienst zu erleiden hatten.
Die staatliche Ausbildung für Mädchen scheint, falls es sie überhaupt gegeben hat, vor allem den „höheren“ Töchtern vorbehalten gewesen zu sein und sich auch eher auf Sport, Tanz, Gesang und Sittlichkeit bezogen zu haben, als auf das Wirtschaften. Eine ähnlich strukturierte Erziehung wie die agogé der Knaben hat man sich darunter aber kaum vorzustellen, eher eine Art allgemeine Verpflichtung, an liturgischen Veranstaltungen teilzunehmen, wozu auch die den Körper bildenden Sportarten gehörten. Über den Charakter möglicher Mentorenbeziehungen zwischen älteren und jüngeren Frauen ist zu wenig bekannt, als dass hier über eine Ausbildung in Staats- und Wirtschaftswesen spekuliert werden sollte.
Die Frauen mögen so nicht unbedingt als notorisch auf die Herrschaft Einfluss nehmend verstanden werden, auch wenn dies natürlich vorkommen kann. Sie waren eher Teil einer Versorgungs- und Abhängigkeitsgemeinschaft mit einem Mann, in deren Rahmen sie vermutlich im gegebenen Rahmen Verwaltungsentscheidungen getroffen haben, über mehr ist nichts bekannt. Gegen eine starke Rolle der Frauen spricht die Schilderung der spartanischen Eheanbahnung, in der die Frau den passiven Teil gespielt zu haben scheint und die Hochzeit aus Neigung auch eher als seltene Angelegenheit anzunehmen ist. In diesen Kontext können möglicherweise auch Aussagen eingeordnet werden, die Spartanerinnen seien gefühlskalte Gebärmaschinen gewesen, die ihre Söhne bedenkenlos in den Tod ziehen ließen und deren schlimmstes Leid darin bestanden habe, wenn der Sohn im Kampf feige war, und die ihn in einem solchen Fall sogar eigenhändig in den Hades beförderten. Aber hätten diese staatstragenden Soldatengebärenden nicht viel mehr Söhne auf die Welt bringen müssen, als dies offensichtlich im 5. Jahrhundert geschah? Wären die Männer tatsächlich so häufig auf Feldzug gewesen und die Frauen so sittlich verwahrlost, wie ihnen verschiedentlich vorgeworfen wurde, hätte es mit Sicherheit nicht an in der Stadt verbliebenen Jünglingen und Männern, im Zweifelsfall auch niedrigerer Schichten gefehlt, um den Staat mit vielen, idealerweise minderberechtigten Söhnen zu versorgen. Hierüber ist aber nichts bekannt – es wird jenseits der Alkibiades-Episode ausschließlich über außereheliche Kinder von Männern berichtet.
Dass Spartanerinnen in Olympia als Siegerinnen im Wagenrennen in Erscheinung traten, weist ebenfalls kaum auf eine allgemein große Selbständigkeit von Frauen hin, vielmehr auf eine fatale Neuerung im Umgang mit den klaroi. Sie waren zunächst vererbbar geworden, dann beleihbar und schließlich verkäuflich. Im Rahmen dieser Entwicklung gelangten Frauen in für Hellas unübliche Weise in den Besitz von Land, was einerseits verheerend für die Anzahl der Spartiaten wurde, indem den Anwärtern häufig die Möglichkeit auf Zuteilung oder den Erwerb eines solchen genommen war, sobald Erbtöchter oder Witwen, die den klaros ihres Mannes behalten durften, nicht mehr heirateten. Andererseits kam es durch diesen Prozess dazu, dass Frauen tatsächlich nicht nur die Verwaltung, sondern sogar die Verfügungsgewalt über teilweise sehr ansehnliche Reichtümer an Land und Mobilien übernahmen. So haben wir Kunde, dass im 4. Jh. an 2/5 des Landes in Händen von Frauen als Erbträgerinnen war. So waren natürlich diese Frauen wirtschaftlich nicht nur selbständig, sondern auch verantwortlich. Aber gerade sie hatten ja keine direkte Macht über Männer und deren Rolle für die Geschicke des Staats – außer man will hier in rein spekulativer Weise einstimmen in die allfälligen Klagen über die Bestechlichkeit spartanischer Könige und Befehlshaber.
So scheint das Bild der strikt, kalt und aktiv staatstragenden und selbständigen Frau in Sparta kaum haltbar – nicht aber das Bild größerer Eigenständigkeit – sei es im Umgang mit dem eigenen Körper, in der Art der Verpflichtungen, die die Frauen zu erfüllen hatten, oder in (später nicht mehr seltenen) Einzelfällen der wohlhabenden Frauen als Klarosbesitzerinnen.