Periöken


Die zweite soziale Hauptgruppe der Lakedämonier waren die Periöken. Der Begriff bedeutet „Umwohnende“ oder „außen herum Wohnende“, was zunächst ihre lokale Ansiedlung betrifft. Aber wahrscheinlich stellte genau das auch einen Grund für ihren geringeren Status dar: Siewohnten so weit außerhalb der Stadt, dass sie nicht jederzeit zu politischer und militärischer Betätigung erreichbar waren. Ihr geringerer Status wirkte sich dahin aus, dass sie keine politischen Rechte im Staat der Lakedämonier hatten. Und dass das so aufrechterhalten werden konnte, ließen sich die Vollbürger Einiges einfallen.

Die Periöken waren freie Bürger Lakedämons und lebten in geschlossenen Siedlungen, die teilweise als Poleis bezeichnet wurden. Sie genossen in ihren Städten lokale Autonomie, die lediglich in Fragen der Gerichtsbarkeit und Außenpolitik durch Sparta beschnitten wurde. Sie waren grundsätzlich zur Heeresfolge verpflichtet, wobei darunter nicht eine Art allgemeine Wehrpflicht verstanden wurde, sondern besondere Kriterien angelegt wurden, die aber prinzipiell auf jeden Periöken zutreffen konnten. Die Heeresfolge dürfte im Regelfall nicht erzwungen worden sein. Eher im Gegenteil wählte man von spartiatischer Seite aus, wer überhaupt als Schwerbewaffneter Dienst in den Bürgereinheiten tun durfte.

Die Periöken führten ein freies Leben, vermutlich freier als die Bürger anderer Poleis. Sie durften Handel und Handwerk betreiben, Geld und Wertgegenstände offen besitzen sowie frei ins Ausland reisen. All dies war den Vollbürgern nicht gestattet. Sie betrieben selbst ihre Landwirtschaft – oder ließen sie von anderen verrichten. Es ist nicht ganz geklärt, ob sie dafür teilweise sogar auf Heloten zurückgreifen konnten. Sie hatten eine eigene Oberschicht, die sich mit Olympischen Siegen und militärischen Kommandostellen im lakedämonischen Aufgebot bestätigen konnte. Anscheinend zahlten die Periöken keine allgemeinen Steuern. Die spartanischen Behörden schickten wohl keine Verwalter oder ständigen Aufseher in die Städte und es waren üblicherweise keine Truppen stationiert.

Insgesamt stellte sich das Leben der Periöken also als sehr erfreulich dar. Man wirtschaftete komplett auf eigene Kosten und die militärische Stärke des Staates gewährleistete über Jahrhunderte, dass das Land nicht von fremden Heeren verwüstet wurde – im chronisch konfliktlustigen Hellas ein außergewöhnliches Privileg. So ist denn von den Periöken bis nach der Schlacht von Leuktra auch keinerlei anhaltende Unzufriedenheit bekannt.

Auch in der Außensicht waren Spartiaten und Periöken prinzipiell gemeinsam „die Lakedämonier“. Es galt immer als schwierig, Spartiaten und Periöken auseinanderzuhalten, sobald ein Heer in Erscheinung trat. Andererseits war Außenstehenden trotzdem bewusst, dass die Spartiaten herausragten. So unterscheidet bereits Herodot zwischen den „Gleichen“ und den anderen, also den Spartiaten und den übrigen Lakedämoniern.

Die Herkunft der Periöken und der Periökie als Institution sind nicht ganz geklärt. Möglicherweise hängt das auch damit zusammen, dass sie keine einheitliche Schicht bildeten und unterschiedlicher Herkunft waren. Vermutlich speisten sich die soziale Gruppenzugehörigkeit und der politische Status sich aus zwei Hauptquellen.

Einerseits scheinen die Bevölkerungsgruppen, aus denen später die Spartiaten hervorgingen, im Verlauf oder Gefolge der sogenannten Dorischen Wanderung eine Vorbevölkerung im Tal des Eurotas bekämpft zu haben. Dieser Prozess dauerte jahrhundertelang an und war erst um 700 abgeschlossen. Die Orte um die vier Dörfer der spartanischen Siedlungsgemeinschaft wurden bekämpft und je nach Ausgang der Kämpfe unterschiedlich in den entstehenden Staat eingegliedert. Vermutlich wurde die Bevölkerung der besiegten Siedlungen helotisiert, während die Städte, die nicht im Kampf bezwungen wurden, aber sich ergaben oder einen einigermaßen glimpflichen Vertrag aushandeln konnten, nicht aufgelöst wurden. Ihre Bewohner behielten viele persönliche Rechte und wurden als Bürger aufgenommen, aber aus dem Kreis der „Herren“ aus den Dörfern Spartas ausgegrenzt. Amyklai, das stark und fest den Zugang zum Meer und den breiten Ackerflächen im südlichen Eurotastal abriegelte und anscheinend nicht besiegt werden konnte, wurde sogar als gleichberechtigter Ort in den spartanischen Wehrverband aufgenommen.

Die andere Ursache der Minderberechtigung könnte sein, dass die Bewohner der Periökenpoleis zum Teil durchaus Mitglieder der dorischen Einwanderer und Eroberer waren, aber in einem inneren Differenzierungsprozess aus den vollen Bürgerrechten ausgesondert wurden, da sie aufgrund ihres von der Stadt zu weit entfernt liegenden Eigentums nicht allzeit an den politischen und militärischen Pflichten teilhaben konnten. Sie wurden von den Bürgern vor Ort rechtlich zurückgedrängt.

So setzten sich die lakonischen Periöken vor allem aus diesen beiden Gruppen zusammen und bestanden dementsprechend sowohl aus achäischen wie aus dorischen Anteilen. Zuwanderer, die Sparta in seinem Staatsgebiet ansiedelte, wie die Bewohner des von Argos um 700 zerstörten argolischen Asine und Teile der Bevölkerung der Insel Ägina, die nach ihrer Vertreibung durch die Athener von Sparta in der Thyreatis angesiedelt wurden, erhielten ebenfalls den Periökenstatus.

Die Periöken zeigen sich also als sehr differenzierte Gruppierung: Sie waren teilweise Dorier, teilweise nicht. Sie waren Lakedämonier oder nicht, sondern z.B. Messenier oder Arkadier. Sie hatten teilweise Landlose, teilweise weiteren Landbesitz, teilweise keinen. Die Landlosbesitzer hatten wohl teilweise Heloten zu ihrer Bewirtschaftung, andere nicht. Sie lebten von Landwirtschaft, Handel oder Gewerbe. Sie waren sehr wohlhabend bis nur einfach ausgestattet. Sie kämpften als Schwerbewaffnete im lakedämonischen Aufgebot oder nicht. Sie bildeten sozial eine so differenzierte Gruppe wie jede andere Bürgerschaft in hellenischen Poleis sonst auch.

Teil 3: Die Heloten