Delphi


Lenker spartanischer Politik

Delphi: Rekonstruktion des heiligen Bezirks (Quelle: wikipedia)
Delphi: Rekonstruktion des heiligen Bezirks (Quelle: wikipedia)

Das Apollon-Heiligtum von Delphi, in der Landschaft Phokis liegende wichtigste Orakelstätte von Hellas, hatte großen Einfluss auf das politische Geschehen in Sparta und auf dessen Außenpolitik. Seit mykenischer Zeit als Orakel benutzt, zunächst vorolympischen Göttern zugeschrieben, später dann dem Apollon (Pythios), der durch ein Medium, eine auf einem Dreifuß über einer Erdspalte sitzenden Jungfrau, der Pythia, Orakel verkündete. Der Gott sagte so den Griechen, kleinen Leuten oder mächtigen Poleis, die Zukunft vorher, gelegentlich in höchst zweideutiger oder fragwürdiger Form. Ab ca. 580 wurde stand Delphi unter dem Schutz einer politisch organisierten Kultgemeinschaft (Amphiktionie) zahlreicher Poleis, die die Unabhängigkeit des Heiligtums und der Stadt Delphi gewährleisten wollten, v.a. gegenüber den Phokern, die traditionell und mit gutem Grund Ansprüche auf den Ort erhoben.

Delphi: Überreste des Apollontempels
Delphi: Überreste des Apollontempels

Apollon genoss in Sparta große Verehrung. Er galt als Gott des Starken und Schönen, als Träger der Kraft. Zu Ehren des Apollon Karneios wurde das heiligste Fest im Kalender der Lakedaimonier zelebriert. Auch die Gymnopaidien wurden ihm zu Ehren abgehalten. Sparta war von den Staaten Griechenlands das Orakel am bedeutsamsten. So stellten die Spartaner auch das größte und figurenreichste Denkmal in Delphi auf. Nach dem Sieg im großen Peloponnesischen Krieg, der ihnen vom Orakel geweissagt worden war, stellten sie aus Dankbarkeit gegenüber dem Gott – und wohl auch um die anderen Poleis zu beeindrucken – ein gewaltiges Monument von 38 Statuen in den Eingangsbereich des Heiligtums.

Die spartanischen Könige als für den lakedaimonischen Staat ausschließlich Frageberechtigte unterhielten auf Staatskosten je zwei von ihnen ausgewählte Orakelbotschafter, die phytioi, die regelmäßig nach Delphi reisten und das Orakel im Auftrag der Könige befragten und mit ihnen gemeinsam die Pflicht hatten, sie zu verwahren und zu vollziehen.

Für die Lakedaimonier war es immer besonders schmerzhaft, dass sie in der Amphiktionie keine eigene Stimme besaßen. So versuchten sie nach den Perserkriegen mit diplomatischen Mitteln dazu zu kommen. Dazu wollten sie Argos hinausdrängen und hatten aufgrund dessen, dass dieses sich in den Perserkriegen neutral verhalten hatte, gute Chancen dazu, zumal der Hellenenbund Strafen gegen nicht am Perserkampf teilnehmende Poleis vereinbart hatte. Die Argiver konnten jedoch das spartanische Ansinnen abwehren.

Delphi: Blick über das Theater und den Apollontempel ins Tal
Delphi: Blick über das Theater und den Apollontempel ins Tal

Im Jahr 449 befreiten die Lakedaimonier mit einem Heer Delphi aus der Vorherrschaft der mit den Athenern verbündeten Phoker. Sie erhielten dafür ein Vortrittsrecht zur Befragung des Orakels. Als sich das Heer zurückzog, revidierten die Athener die Situation, aber schon ein Jahr später wurde Delphi wieder unabhängig, als Athen bei Koroneia eine schwere Niederlage gegen Boiotien hinnehmen musste.

Im Nikiasfrieden von 421 zwischen Sparta und Athen wurde die Neutralität, Autonomie und freie Zugänglichkeit Delphis für alle Griechen bekräftigt. Schon wenige Jahre später sperrte Sparta den Zugang für Athen, nachdem dieses in Sizilien seine Niederlage gegen Syrakus erlitten hatte.

Als Sparta nach der Niederlage von Leuktra und der Auflösung des peloponnesischen Bundes nicht mehr fähig war, Delphi mit Waffenmacht zu unterstützen, bemächtigten sich die Phoker erneut des Heiligtums. Diesmal scheuten sie sich nicht, die Tempelkasse zu leeren und damit Söldner anzuwerben, die ihnen für einige Jahre eine regionale Hegemonie einbrachten. Allerdings mussten die Phoker, um die Söldner zu bezahlen bald auch die Weihegeschenke plündern und dann die Söldner mangels nachhaltiger Finanzquellen ziehen lassen. Ob die aus späterer Zeit stammende Nachricht, der spartanische König Archidamos habe die Phoker mittels Geldzahlungen in ihrem Tun unterstützt, stimmt, sei dahingestellt. Es wäre ein Zeichen völliger sittlicher Verwahrlosung spartanischer Führungsschichten. Der Betrag, um den es dabei gegangen sein soll (15 Talente) ist in Relation zu den damals gewaltigen Ressourcen aus der Tempelkasse so gering, dass es sich eher um einen Versuch späterer Geschichtsschreibung handelt, Spartas so untraditionelles Stillhalten bei Übergriffen gegen Delphi zu erklären.

Sparta konnte keinen Einfluss mehr gewinnen und Delphi wechselte von Hand zu Hand. Zunächst nutzte Philipp von Makedonien den Streitfall, um sich als politischen Faktor in Griechenland zu etablieren. Fünfzig Jahre später verschafften sich die Aitoler für ein Jahrhundert die Herrschaft über Delphi, bevor zu Beginn des 2. Jahrhunderts die Römer ihm vorübergehend die Autonomie wiedergaben, dann aber Delphi wie den Rest Griechenlands vereinnahmten. Unter Kaiser Hadrian erhielt Sparta eine Stimme in der Amphiktionie. Das hatte aber keine politische Bedeutung mehr.


Orakelsprüche an die spartanischen Könige:

Es sind einige Orakelsprüche überliefert, die in die Geschicke Spartas eingriffen. Da die Könige regelmäßig und bei allen wichtigen Entscheidungen das Orakel befragten, lässt sich die spartanische Politik teilweise mit den Orakeln aus Delphi begründen. Dabei ist allerdings anzunehmen, dass nicht wenige der in der Literatur erwähnten Orakel erst nach dem Eintreten des fraglichen Ereignissen erfunden worden sein dürften und für einige Zustände, für die man keine Erklärung mehr hatte, ebenso flugs eine göttliche Begründung in einem Orakel gefunden wurde. Ferner erklärt sich manches darüber, in welcher Art der Gott gefragt wurde: Häufig dürfte ein genaues Konzept vorgetragen worden sein, das der Gott nur noch hinsichtlich seines Gefallens zu bestätigen brauchte – auch dies wurde als Orakelspruch verpackt. Hier eine Auswahl überlieferter Orakelsprüche mit Relevanz für Spartas Geschichte:

Das Doppelkönigtum in Sparta sei auf ein Delphisches Orakel zurückzuführen, das den Spartanern in einem Fall nicht eindeutiger Thronfolge zu dieser Lösung riet.

Das Orakel habe Lykurgos die in Sparta einzurichtende Verfassung aufgegeben. Allerdings war der legendäre Lykurg kein König, wodurch diese Überlieferung noch unglaubwürdiger wird. Tyrtaios besingt die Gute Ordnung eunomia, die in Grundzügen das umfasst, was später als lykurgische Rethra galt. Er bezieht sich dabei auf ein Orakel von Delphi.

Tarent, die einzige erfolgreiche spartanische Koloniegründung, wurde nach einer Orakelbefragung wegen der unehelichen Kinder (partheniai) des ersten Messenischen Krieges gegründet, die in die Verbannung zu schicken seien.

Während des zweiten Messenischen Krieges scheint Delphi Sparta mit mehr oder minder präzisen Anweisungen für einen Sieg versehen haben. Ob es das für die Messenier auch tat, ist unklar, aber auch diese schickten aus, um das Orakel zu befragen.

Das Orakel scheint die Lakedaimonier dazu gebracht zu haben, ab 511 in Athen gegen die Peisistratiden zu intervenieren und sie zu vertreiben. Kurz zuvor hatte in Delphi das von den Peisistratiden aus Athen vertriebene Adelsgeschlecht der Alkmaioniden unter großem finanziellen Aufwand geholfen, den vor einiger Zeit abgebrannten Apollontempel wieder aufzubauen. Folgerichtig warf man den Alkmaioniden vor, das Orakel bestochen zu haben, als man die Peisistratiden als das für Sparta geringere Übel wieder an die Macht bringen wollte.

Der erfolgreiche Feldzug gegen Argos von 494 wurde durch ein (zu) optimistisches Orakel an König Kleomenes gefördert.

König Kleomenes befragte das Orakel auch bezüglich seines Königskollegen Demaratos. Das Orakel bezweifelte dessen legitime Abkunft, was ihn sein Amt kostete. Auch hier kam bald der Verdacht der Bestechung des Orakels aus. Da die Orakelsprüche aber ohnehin bezahlt wurden, stellt sich in diesem Kontext die Frage, was hier als „Bestechung“ gelten sollte.

480 Orakel bezüglich Krieg gegen Persien, dass entweder Sparta zerstört werde oder aber ein König fallen werde.

Ein Orakelspruch befasste sich mit der Beendigung des großen Helotenaufstandes, der nach dem Erdbeben von 464 ausbrach. Den Spartanern wurde geraten, die Aufständischen nicht besiegen zu wollen, sondern man solle sie ziehen lassen. Sparta beendete die Belagerung des Ithomeberges mit einem Vertrag und verwies die überlebenden Aufständischen unbesiegt des Landes.

432 fragten die Spartaner, ob sie gegen Athen in einen Krieg eintreten sollten und wurden vom Orakel darin bestärkt. Sparta siegte, machte gewaltige Beute, gewann die Hegemonie in Griechenland und stellte das gewaltige Denkmal in Delphi auf (s.o.).

Ebenfalls dem delphischen Orakel wurde der Ratschlag zugesprochen Herakleia Trachinia als peloponnesische Kolonie und strategisch wichtigen Stützpunkt in Mittelgriechenland zu gründen (426).

425 wurde angesichts der kritischen Lage den verurteilten König Pleistoanax aus dem Exil zurückgeholt, nachdem das Orakel dies geraten hatte.

387 holte sich König Agesipolis in Delphi und Olympia den Bescheid, dass eine zu Unrecht religiös begründete Waffenruhe nicht anzunehmen ist und hatte so aus religiöser Sicht freie Hand gegen Argos, das sich gegen eine spartanische Intervention mit einer religiösen Argumentation zu schützen versuchte.