Die politischen Institutionen

Die politischen Institutionen des klassischen Sparta stellen sich als eigentümliche Mischung verschiedener Verfassungstypen dar. Anders als in anderen Poleis musste der Staat über Jahrhunderte keinen Umsturz oder fundamentalen Wandel der Verfassung hinnehmen. So ist sie ein Produkt vor allem zweier Quellen: einerseits dem Wettbewerb verschiedener Gruppierungen der Spartiaten um Einfluss, andererseits dem Festhalten am Überkommenen.

Die politischen Institutionen im klassischen Sparta und die Teilhabe daran
Die politischen Institutionen im klassischen Sparta und die Teilhabe daran

In Sparta bestimmten drei große Gruppierungen innerhalb der Spartiaten die politischen Geschicke: die Könige, eine Art „Aristokratie“ und der Damos.

Von Aristokratie lässt sich innerhalb der Gruppierung der Spartiaten nur dann sprechen, wenn berücksichtigt wird, dass es trotz ideologisch fundierter Gleichheit aller Spartiaten Familien gab, die angesehener und/oder wohlhabender als andere waren und deshalb in vielen Fragen die Meinungsführerschaft unter sich ausmachten. So ist in Sparta durchaus von „führenden“ Familien die Rede, deren Proponenten besonders häufig in politische Ämter gelangten und so politische Entscheidungen stärker prägen konnten als andere. Die Ursachen dafür liegen weit zurück und greifen noch vor die „Gleichheit“ der Spartiaten aus. Für uns greifbar sind lediglich Besitzunterschiede, die aber durchaus auf alten aristokratischen Strukturen fußen können. Unter Aristokratie innerhalb der Spartiaten werden hier also diese hervorgehobenen, ersten Familien verstanden, während im Staat der Lakedaimonier insgesamt natürlich die Spartiaten an sich die Aristokratie darstellten. Wie viele Begriffe lässt sich also auch dieser auf die Spartaner nicht im gewohnten Sinn anwenden und die Sonderrolle Lakedaimons wird unterstrichen.

Ebenso schwierig ist die Anwendung des Begriffs Damos: Er bezieht sich dabei auf die Gruppe der Vollbürger und nicht auf die Bürger Lakedaimons, zu denen auch die Perioiken (und andere Gruppen wie die Minderberechtigten, die Neodamoden, die Mothakes usw.) gehörten. Die Spartiaten waren der Damos, also das Volk im politischen Sinn. Dass die Perioiken von den politischen Entscheidungen ausgeschlossen waren, war den Spartiaten so selbstverständlich wie den Athenern der Ausschluss der Metoiken. Die Heloten gar zählten nicht einmal zu den Lakedaimoniern, sie waren nicht Teil des Staats, sondern sein Besitz und deshalb beinahe rechtlos.

Das politische Volk (Damos) und der gesellschaftliche Adel des Staats waren also in Lakedaimon identisch. Zusätzlich gab es niedrigere Volksgruppen und innerhalb des Damos einflussreichere, quasi aristokratische Familien qua ererbten Ansehens und/oder Reichtums.

Die wichtigsten politischen Institutionen waren die Könige (Archegatei), der Ältestenrat (Gerusia), die Versammlung der Vollbürger (Apella) und ein Gremium von fünf Gesetzesaufsehern (Ephorat).

Die Könige verloren zwar mit der Zeit immer mehr an politischen Funktionen, doch die kultische und militärische Führerschaft wurde ihnen nie aberkannt und so waren z.B. in Feldzügen erfolgreiche Könige durchaus in der Lage, eine starke oder gar bestimmende Position in Spartas Politik zu spielen. Außerhalb der Kriegszeiten und bei mangelnden Erfolgen allerdings wurde üblicherweise die Macht der Könige zurückgedrängt.

Das vermutlich älteste nicht erbliche, institutionalisierte Gremium war der Rat der Ältesten, die Gerusia aus 28 Mitgliedern über 60 Jahren, ergänzt um die beiden Könige, die natürlich erheblich jünger sein konnten. Die Gerusia hatte probouleutische (vorberatende) Funktionen für die Vollbürgerversammlung und juristische Aufgaben und wird häufig als Instrument der Aristokratie gesehen, auch wenn die Mitglieder durch den Damos insgesamt gewählt wurden.

Forum des Damos war die Versammlung der Vollbürger, die Apella. Dort wurden Geronten und Ephoren gewählt, über Krieg und Frieden beschlossen und andere politische Beschlüsse gefasst. Allerdings scheint die Apella kein Initiativrecht gehabt zu haben. Von daher konnte sie nur abstimmen, was aus den Vorberatungen der Gerusia und von den Ephoren vorgelegt bzw. vom König vorgetragen wurde. Debatten in der Apella scheinen nur unter hervorgehobenen Persönlichkeiten stattgefunden zu haben. Die Vollbürger hörten sich Vorschläge und Begründungen an und stimmten dann ab. Dass dabei nicht jeder nach seiner Haltung im jeweiligen Fall vorging, sondern sich einerseits personengebundene Parteiungen, andererseits wertorientierte Entscheidungen ergaben, versteht sich von selbst. So scheint die Apella üblicherweise dann für Krieg gestimmt zu haben, wenn einer der Redner den möglichen Frieden als feige und unehrenhaft darstellen konnte und dabei so geschickt argumentierte, dass er die Vollbürger davon überzeugte. Dann galt auch wenig, wenn der Krieg keinen Vorteil bringen mochte.

Insbesondere die vom Damos jährlich gewählten Ephoren konnten immer mehr Rechte der Könige übernehmen und sogar den König auf Feldzügen kontrollieren, wodurch zwar seine unbedingte Führerposition im Feld nicht in Frage gestellt wurde, er sich aber nach dem Feldzug in Sparta verantworten musste. Die Ephoren hatten Sonderrechte gegenüber den Königen, so mussten die Könige vor den Ephoren monatlich zu schwören, die Gesetze einzuhalten, während die Ephoren nur schwören mussten, sie im Falle ihrer Gesetzestreue nicht abzusetzen. Die Ephoren leiteten die Apella, organisierten die Aushebungen im Krieg und konnten je nach Situation auch ohne Apella weitreichende Entscheidungen fällen. Allgemein waren Sie für Einhaltung und Umsetzung der Gesetze zuständig. Die jährliche Neuwahl durch die Apella bei Ausschluss der Möglichkeit einer Wiederwahl lässt die Ephoren als demokratisches Element und damit Werkzeug des Damos erscheinen. Es gibt aber dringende Hinweise darauf, dass vor allem Mitglieder der „führenden“ Familien Ephoren wurden, insbesondere der erste Ephor, nach dem das Jahr benannt wurde, stammte üblicherweise aus einer solchen hervorgehobenen Familie. Somit waren die Ephoren möglicherweise eher Instrument der Aristokratie, die ihre Proponenten durch Gefolgschaften ins Amt bringen konnte, auch wenn ihr Amt das am ehesten demokratisch legitimierte war.

Die Spartaner führten ihre Verfassungskonstruktion auf einen alten Weisspruch, die sogenannte Rhetra zurück, für die sie den delphischen Gott und einen legendären Gesetzgeber – Lykurg – verantwortlich sahen. Diese Begründung im Mythisch-Legendären führte zu einer weiteren in Hellas eher unüblichen ausgeprägten Tendenz, alte Vorgaben und Gesetze zu bewahren.

Diese hielt die Spartaner zwar nicht davon ab, neue Gesetze und Institutionen zu entwickeln, sie scheinen aber alte nie aufgegeben zu haben. Dadurch war einerseits vielen Änderungen die Möglichkeit genommen, sich voll auswirken zu können, andererseits konnte als unangemessen Erkanntes nicht vollständig beseitigt werden. Der Vorteil des Vorgehens war, dass die Verfassung insgesamt sehr stabil war und sich damit der spartanische Kosmos geschlossen halten ließ, was wohl der herausragende gesellschaftliche Grund für den Gewinn der Führerschaft in Hellas war. Neben diesem pragmatischen und hinsichtlich der Stärke des Staats vernünftigen Argument ist davon auszugehen, dass über lange Zeit hinweg die Scheu vor dem Gott, d.h. die in Sparta lange Zeit tief verwurzelte Religiosität eine Änderung einmal erlassener Gesetze unmöglich machte, die als göttlicher Wille galten.

Diese Beharrlichkeit zeigt sich z.B. am Festhalten nicht nur am Königtum, sondern sogar am Doppelkönigtum, obwohl es zwischen den Königen des öfteren massive, auch den Staat beeinträchtigende Konflikte gab. Lieber kontrollierte man die Könige und schränkte ihre Macht dort ein, wo sie schädlich werden konnte. Die antagonistische Institution, die einzige übrigens, die nicht in der Rhetra erscheint, ist das Ephorat.

In dieser Weise wurde an vielen Strukturmerkmalen festgehalten. Als sich z.B. die Aristokratie der ersten Familien unter den homoioi daran machte, den Bestand der Klaroi zu konzentrieren, gab es für sie noch keine Möglichkeit, die Klaroi der anderen Spartiaten zu bekommen. Mit der Zeit aber konnte er über Witwen und Töchter vererbt, verpfändet und schließlich verkauft werden. Gleichzeitig ließ man nicht von der Koppelung des Vollbürgerstatus vom Besitz eines ausreichend ertragreichen Klaros ab, was sich insgesamt für den Staat als verheerend herausstellen sollte. Trotzdem hielt man mit eiserner Konsequenz an der Ideologie der homoioi und der Zensusbildung mittels Klaroserträgen fest – so sanken viele potenzielle Spartiaten unter den Zensus und der Staat der Lakedaimonier litt zunehmend unter einem selbstzerstörerischen Schwund der Vollbürger, der sog. Oliganthropie.