Heiligtum der Artemis Orthia


Elfenbeinvotivplättchen mit dem Abbild der Artemis Orthia aus dem Heiligtum in Sparta (Quelle: Wikipedia)
Elfenbeinvotivplättchen mit dem Abbild der Artemis Orthia aus dem Heiligtum in Sparta (Quelle: Wikipedia)

Ein Standort der wichtigsten Kulte in Sparta war das im Ort Limnai und deshalb zuweilen Limnaion genannte Heiligtum der Artemis Orthia. Orthia bedeutet „die Aufrechte“ oder „die Aufrichtende“ und war eine Wachstums- und Fruchtbarkeitsgöttin. Ausgrabungskampagnen des 20. Jahrhunderts haben das Heiligtum lokalisiert und anhand von Inschriftenfunden eindeutig identifiziert. Allerdings sind die Reste nicht sehr ansehnlich und vermutlich auch nicht aus klassischer Zeit, sondern aus einer Wiedererrichtung im 2. nachchristlichen Jahrhundert, als das Heiligtum einen ungeahnten Boom bei wohlhabenden römischen Touristen erfuhr. Allerdings scheint dieser Bau zumindest im Grundriss dem archaischen Vorgängerbau zu folgen, der im 6. Jahrhundert errichtete und damals ein noch früheres Gebäude aus der Zeit um 700 ersetzte.

ArtemisOrthia1Doch auch dieses war nicht der erste Kultort. Es ist der Fundort der ältesten protogeometrischen Keramik (Mitte des 10. Jh.) in Lakonien und markiert damit den Beginn des dorischen Sparta. Das Heiligtum selbst war seit spätestens dem 9. Jahrhundert im Betrieb und damit der älteste bekannte im nachmykenischen Hellas.

Das Heiligtum bestand mindestens aus dem Tempel und einer Umfassung. Der Neubau im 6. Jahrhundert vergrößerte des Tempel und zur Zeit der römischen Besatzung wurden Zuschauerränge um den Tempel herum angelegt.

Im Tempelinneren bewahrten Priesterinnen eine geschnitzte Holzfigur der Göttin auf, die so klein war, dass sie bei den Kulthandlungen gehoben und getragen werden konnte. Der Kult der Artemis Orthia war den vier zusammenliegenden spartanischen Dörfern gemeinsam, der Nachzügler Amyklai hatte keinen Anteil – was auf die Form der überlieferten Kulte auf die Zeit vor dem Anschluss Amyklais hinweist.

ArtemisOrthia2Kultelemente waren Wettkämpfe, Tänze und Chöre (auch der Mädchen), Votivgaben und als spektakulärstem die Knabengeißelungen. Diese waren vermutlich Teil des Wachtums- und Fruchtbarkeitsmysteriums der Göttin, eine Initiation der Knaben ins Erwachsenenalter durch eine harte, Blut fordernde Prüfung, das dafür verwendet wurde, als Opfer die Göttin milde und hilfreich zu stimmen. Anscheinend gab es dabei einen Wettbewerb im Einstecken oder Erdulden von Stockschlägen – wer am meisten kassierte war geehrter „Sieger der Schläge“ – wer nicht wich und unter den Schlägen starb, bekam sogar ein Standbild. Eltern, Lehrer und Artemispriesterin wachten darüber, dass es auch wirklich wehtat. Ob es sich darum handelte, exekutionsartig und systematisch die Epheben durchzuprügeln oder ob der Kult in eine Art ritualisiertes Gefecht von Mannschaften eingebettet war, scheint nicht klar zu sein.

Das Schauspiel, strahlende Jünglinge sich in ihrem Blut winden zu sehen führte zu einem gespenstischen Nachleben dieses Kultanteils in römischer Zeit. Der Vorgang scheint fremdenverkehrswirksam gewesen zu sein und zur Bequemlichkeit der Zuschauer bei diesem dem römischen Geschmack anscheinend sehr zusprechenden Attraktion wurden sogar Sitzreihen im Halbkreis um den Schauplatz gebaut (in der Abbildung oben rechts zu erkennen). So hielt sich das Spektakel als völlig sinnfreier „Wettkampf der Ausdauer“, bei dem wieder die Sieger wie die Toten Ehrungen empfingen. Es blieb nachweislich bis in die zweite Hälfte des 4. nachchristlichen Jahrhunderts üblich und erst die Westgoten scheinen dem ein Ende gesetzt zu haben, als sie Sparta dem Erdboden gleichmachten. Später wurde an der Stelle eine christliche Kirche errichtet.

OrthiaMaske2Archäologisch und kunsthistorisch interessanter sind die im Heiligtum seit dem 10. Jahrhundert nachweisbaren Votivgaben, in der Zahl weit über 100000! Bittsteller oder Dankbare haben im lauf der Jahrhunderte mannigfaltige Gaben gebracht. Am häufigsten und wohl typisch waren kleine, massenhaft hergestellte Figuren aus Blei, Terrakotta und anderen Materialien, die Menschen, Götter oder Fabelwesen darstellten. Oft wurden auch Eisenspieße, Elfenbeinminiaturen, weibliche Figurinen, die wohl Artemis darstellten und Terrakottamasken dargebracht.